Geschichte vom Grund des Meeres Wissenschaftler bohren durch meterweise Meeresboden

| 14.08.2023 08:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Mit Hilfe eines Vibrationsbohrers wurden die Bohrkerne im Juni im Wangerooger und Norderneyer Watt gezogen. Foto: Peter Becker
Mit Hilfe eines Vibrationsbohrers wurden die Bohrkerne im Juni im Wangerooger und Norderneyer Watt gezogen. Foto: Peter Becker
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Forscher untersuchen die dauerhaft unter Wasser liegende Küstenregion. Durch den Blick zurück erhoffen sie sich Erkenntnisse für die Zukunft.

Norderney/Wangerooge/Norden - Bohren, sägen, untersuchen: Sechs Meter lange Bohrkerne, randvoll mit Material vom Grund des Wattenmeeres, stehen derzeit im Fokus eines Teams von Wissenschaftlern der Forschungsstelle Küste in Norden. Hintergrund ist die sogenannte Sublitoralkartierung, das heißt, die Kartierung der dauerhaft unter Wasser liegenden Küstenregion. Die Forschungseinrichtung des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) erhofft sich von den Untersuchungen Erkenntnisse über die physikalische Beschaffenheit des Meeresbodenuntergrunds – und ein genaueres Bild von der Landschaftsentwicklung im Nordseeraum. Dabei stoßen sie auch auf Bodenschichten aus der letzten Eiszeit.

Gespannt beobachtet Francesco Mascioli die gesammelten Messergebnisse. Die Untersuchung der im Watt „versunkenen“ Landschaften ist von sehr hohem und aktuellem wissenschaftlichem Interesse. Foto: NLWKN
Gespannt beobachtet Francesco Mascioli die gesammelten Messergebnisse. Die Untersuchung der im Watt „versunkenen“ Landschaften ist von sehr hohem und aktuellem wissenschaftlichem Interesse. Foto: NLWKN

Die Reise der rund sechs Meter langen Kunststoffbehälter, die an diesem regnerischen Sommertag in Norden im Zentrum der Untersuchungen von Dr. Francesco Mascioli und seinem Team stehen, begann Ende Juni an Bord des NLWKN-Forschungsschiffs MS Burchana. Die mit seiner Hilfe im Wattenmeer vor Norderney und Wangerooge entnommenen Bohrkerne selbst haben eine Geschichte zu erzählen, die deutlich weiter zurückreicht: „Wir haben hier Bodenschichten vor uns, die seit der Eiszeit nach und nach überflutet und mit Torf und Meeressediment bedeckt wurden. Diese Schutzschicht hat bewirkt, dass gewissermaßen ,Bodenarchive´ der Umweltentwicklung, der Meeresspiegel- und Klimaänderungen sowie der hierdurch ausgelösten Anpassungsstrategien des Menschen erhalten geblieben sind, die viele tausende Jahre zurückreichen“, betont Mascioli, während er den kleinen Monitor vor sich keinen Moment aus den Augen lässt.

Jede Probe hält eine Überraschung für die Wissenschaftler bereit

Direkt neben dem Geologen von der Forschungsstelle Küste schiebt eine motorisierte Vorrichtung einen Bohrkern Zentimeter für Zentimeter durch eine hochmoderne Messapparatur. Es surrt und klickt – dann erscheint ein neues farbiges Diagramm auf dem angeschlossenen Bildschirm. „Bei diesem Gerät handelt es sich um einen Multi-Sensor Core Logger“, klärt Mascioli auf und drückt eine Taste, die einen weiteren Messvorgang in Gang setzt: „Mit ihm ist die Messung mehrerer Sedimentparameter gleichzeitig möglich: Dichte, Schallgeschwindigkeit – aber auch, wie die verschiedenen Sedimenttypen zum Beispiel in einem magnetischen Feld reagieren“.

Die Daten des Multi-Sensor Core Logger geben punktuelle Auskunft über die Beschaffenheit des Meeresbodenuntergrundes bis zu einer Tiefe von sechs Metern. Foto: NLWKN
Die Daten des Multi-Sensor Core Logger geben punktuelle Auskunft über die Beschaffenheit des Meeresbodenuntergrundes bis zu einer Tiefe von sechs Metern. Foto: NLWKN

Nach der Untersuchung mit den Messgeräten geht es auf dem Tisch nebenan dem Bohrkern an den Kragen: Ein präziser Schnitt mit einem ungewöhnlich aussehenden Schneidegerät an beiden Seiten, dann klappt Ciaran Vass das längliche Kunststoffgehäuse der Bodenprobe für weitere Untersuchungen auf. „Das Schneidegerät ist eine eigens von den Kollegen für diese Aufgabe konstruierte Apparatur“, sagt der junge Schotte, der derzeit ein Praktikum in der Forschungsstelle absolviert – und hält sich die Nase zu. Als der luftdichte Behälter sein schlickiges Inneres preisgibt, zeigt sich schließlich, dass der „Muff der Geschichte“ nicht nur eine Redewendung ist, sondern durchaus zu einer reellen Erfahrung werden kann. Torf, alte Sedimente oder gar Steine aus der letzten Eiszeit? Jede Probe, jeder Zentimeter Wattboden hält andere Überraschungen bereit und wird von den Wissenschaftlern mittels einer hochauflösenden Kamera gescannt und für weitere Untersuchungen in kleine Probenbehälter verfüllt.

An Deck der Burchana wird das Bohrgerät für die Bohrung vorbereitet. Foto: NLWKN
An Deck der Burchana wird das Bohrgerät für die Bohrung vorbereitet. Foto: NLWKN

Die gewonnenen Informationen über die physikalischen Parameter der verschiedenen entnommenen Bodentypen sind für das Küsteningenieurwesen von großer Bedeutung: Die Ergebnisse dienen als Basis für ein Vorhersagemodell morphologischer Veränderungen des Wattenmeeres. Sie werden zudem als wissenschaftliche Grundlage für ein ökologisches und nachhaltiges Sedimentmanagement genutzt. „Wir erleben große Umfeldveränderungen, sowohl natürliche als auch vom Menschen verursachte, die sich unmittelbar auf die Meere und Küsten auswirken. Unsere Forschungsergebnisse können zum Verständnis und zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen“, ist Geologe Mascioli überzeugt.

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