Meinung Intensiver Europa-Wahlkampf mit einer Entgleisung
Am Sonntag geht ein intensiv geführter Europa-Wahlkampf zu Ende. In Aurich kam es dabei zu einer rassistischen Entgleisung – die unwidersprochen blieb. Bedenklich. Ein Kommentar.
Am Sonntag geht ein Europa-Wahlkampf zu Ende, der intensiver geführt wurde als alle zuvor. Im Landkreis Aurich ist das einerseits leicht zu erklären: Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen überschatten das Ereignis diesmal nicht. Der Hauptgrund aber ist das politische Klima, das von Krisen und Ängsten geprägt ist. Oft werden diese geschürt durch das Gefühl einer Bedrohung durch radikale Kräfte. Je nach Sichtweise kommt die Gefahr von links, rechts, religiösen Fundamentalisten und anderen Seiten. Immer neue Ereignisse führen dazu, die allgemein gereizten Gemüter weiter zu erregen – sei es das Sylt-Video, die Kalifat-Demo in Hamburg oder das „Remigrations“-Treffen in Potsdam.
Grenzen des Sagbaren wurden verschoben
Die Grenzen des Sagbaren wurden verschoben, auch in Aurich. Eine rassistische Entgleisung leistete sich ein Zuhörer bei einer Veranstaltung der Freien Wähler in Middels. Europa-Kandidat Anthony-Robert Lee kritisierte, in Deutschland würden abgelehnte Asylbewerber nicht konsequent abgeschoben. Ein Mann im Publikum rief, er habe die Lösung: In Europa legten Tausende Kreuzfahrtschiffe an. „Die brauchen wir nur mit Kameltreibern volljagen, dann haben wir bald drei bis vier Millionen in einer Saison weg“, so der Zuhörer. Der Mann bezog sich damit möglicherweise auf den zynischen Kalender der AfD-Stadtratsfraktion in Senftenberg: „Die schönsten Abschiebedampfer“ heißt er und zeigt Kreuzfahrtschiffe. Der Branchenverband geht dagegen juristisch vor. Gut so.
Statt Empörung nur Gelächter und Applaus
An dieser Stelle wäre bei der Veranstaltung in Middels vieles angeraten gewesen: bedrücktes Schweigen, besser aber Empörung und Distanzierung. Und das nicht nur wegen der offenkundig rassistischen „Kameltreiber“-Schmähung, sondern auch wegen der Zahl. Drei bis vier Millionen Menschen, die man „wegjagen“ wolle: Das ist weit mehr als die Gesamtzahl aller Asylanträge in Europa. Wer „Remigrations“-Fantasien für ein Phantom hält, wird hier eines Besseren belehrt. Statt Empörung aber gab es im Saal Gelächter und Applaus. Und der Kandidat der Freien Wähler? Sagt nur: „Ihr sprecht hier Klartext, ne?“ Ein Skandal.
Unwidersprochener Rassismus auf offener Bühne: Wenn vielen dabei angst und bange vor einem Rechtsruck bei der Europawahl wird, ist ihnen das nicht zu verdenken.